Leitartikel Januar 2025:Vertrauen ist gut
Als ich sie bei uns im Garten entdeckte, war ich sofort fasziniert. Und natürlich wollte ich ein Foto schießen. Aber Stieglitze sind misstrauisch. Sobald ich auch nur das Fenster öffnete, flogen sie auf und bezogen Position im nahen Baum. Dort wartete die ganze Gruppe laut schimpfend, bis ich wieder drinnen war. Dann flogen ein paar über unser Grundstück, ein erster Kundschafter wurde zum Vogelhäuschen vorgeschickt, und erst dann folgte der Rest der Gruppe.
Ich glaube: So wie es den Stieglitzen mit uns gegangen ist, so geht es manchen Menschen mit Gott. Sie bleiben lieber auf Sicherheitsabstand, wollen lieber nicht so viel mit ihm zu tun haben. Und wenn es sich nicht vermeiden lässt, bei einer Hochzeit, zur Beerdigung oder an Weihnachten, dann sind sie danach ganz schnell wieder weg.
Das Verhalten unserer Stieglitze fand ich zuerst völlig daneben. Schließlich haben wir doch das Vogelhäuschen gebaut, haben es sauber gehalten und das Futter bereit-gestellt. Und keiner von uns käme jemals auf die Idee, den Vögeln etwas Böses zu tun. Aber sie hatten einfach kein Vertrauen – weil sie immer auf der Hut sein müssen und oft in Lebensgefahr sind. Katzen, Krähen, Marder. So viele stellen ihnen nach. Da sind Misstrauen und Vorsicht für die bunten Vögel einfach überlebenswichtig.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum sich viele Menschen von Gott und der Kirche fernhalten. Sie haben vielleicht Angst davor, dass sie irgendwie ausgetrickst und in eine Falle gelockt werden. Andere befürchten, sie müssten ihren Verstand abschalten, wenn sie sich näher mit Gott beschäftigen. Und sicher gibt es auch manche, die irgendwann in ihrem Leben schlechte Erfahrungen gemacht haben mit Gottes Bodenpersonal. Und seitdem sind sie halt vorsichtig und halten Abstand.
Irgendwann habe ich mein Foto gemacht – mit Glück. Denn obwohl sie mich inzwischen so oft gesehen haben, stellen die Stieglitze immer noch bei jedem Besuch die Vertrauensfrage. Ich müsste wohl selbst einer von ihnen sein, damit sie mir glauben: Es ist alles gut. Habt keine Angst vor mir.
Stieglitz werden. Werden wie die, die einen fürchten – Gott hat das ja tatsächlich gemacht. Um den Menschen zu zeigen, dass sie sich nicht zu fürchten brauchen, ist er einer von Ihnen geworden. Das haben wir Weihnachten gefeiert. In Jesus hat Gott uns gezeigt, wie er es mit uns meint: er ist barmherzig und gut. Er verurteilt keinen - auch die Vögel nicht, die es bunt treiben. Immer können wir bei ihm die Lasten unseres grauen Alltags loswerden. Er gibt uns Nahrung für die Seele, damit wir durch die harten Zeiten kommen. Und wenn wir aus allen Wolken fallen, dann trägt er uns; ist selbst der Wind unter unseren Flügeln. Vor allem aber freut er sich diebisch wie eine Elster, wenn wir bei ihm auftauchen wie die Hirten an der Krippe – egal nach wie langer Zeit. Weil er uns liebt. Weil er fasziniert ist von uns.
Vielleicht sind Sie so mutig und schauen mal wieder an einem Gotteshaus vorbei. Einfach so. Hören Sie die frohe Kunde, die die Engel uns aus Bethlehem brachten: Gott ist Mensch geworden. In Jesus Christus. „Fürchtet Euch nicht!“
Ihr Pfr. Raphael Häckler